Heute durfte ich einer Tagung beiwohnen, die ex post betrachtet deutlich von ihrem Austragungsort, dem Alten Rathaus in München, beeinflusst zu sein schien. Aber dazu später mehr.
Nach einführenden Worten von Frau Jordan, Gattin des erkrankten Peter Jordan, dem Geschäftsführer des Medien-Netzwerks München, sowie Dr. Reinhard Wieczorek, Leiter Referat Arbeit und Wirtschaft der Stadt München, der uns darüber aufklärte, warum im wunderschönen Rathaussaal Wandplaketten von Mittel-Indien hängen, hielt Bernard Weber die Eröffnungsrede.
Der Gründer des Projekts „Die sieben neuen Weltwunder“ umschiffte die Tatsache, dass das mitgebrachte Video nicht zum Laufen gebracht werden konnte, und erzählte in blumigen wie gleichermassen selbstbewussten Worten („die erste weltweite demokratische Wahl“) von seinem mehrjährigen Projekt, dass Anfang 2008 mit der Wahl der neuen 7 Weltwunder sein Ende fand.
Danach wurde es etwas bodenständiger. Martin Korosec, Geschäftsführer des Europa-Fachpresse-Verlags, bediente seine Zuhörer mit einer Bestandsaufnahme der ängstlichen und zweifelnden Haltung der Verlage gegenüber dem Internet und dem Web 2.0 insbesondere. Kennzeichnend für seine Vortragsbotschaft sei dieses Zitat genannt: „Ich will nicht, dass meine Kinder ihre Meinung aus dem Web 2.0 — von Bloggern — sondern von Qualitätsjournalisten bilden lassen.“ Nun ja.
Helwin Lesch, Hauptabteilungsleiter Programmdistribution des Bayerischen Rundfunks, erläuterte das Spannungsfeld seines Senders mit einigen Zahlen:
Hörfunknutzung: allgemein 200 min/Tag – 16–29 Jahre: 160 min/Tag
Podcasting: 8% der Onliner haben Podcast mind. einmal ausprobiert
Mobile Internetnutzung: 21% der Onliner wünschen sich Internetinhalte auf mobilen Endgeräten, 29% wünschen sich mobiles Radio, 9% wünschen sich mobiles TV
Die Zukunft des BR werde an der Frage entschieden: „Wie findet uns der Verbraucher zukünftig?“
Und als Herausforderungen sieht Helwin Lesch
— unterschiedlichste (Programm-)Kanäle
— stärkeren Wettbewerb durch Plattformbetreiber
— mehr Wettbewerb insgesamt durch z.B. private TV-Anbieter
— neue Technologien wie Internet etc.
Ordnungspolitische Sorge bereiten dem BR sogenannte vertikal integrierte Unternehmen – vulgo Deutsche Telekom – die mit dem Beipiel T‑Home Engagement in der Fussball Bundesliga eine starke Verflechtung des „Autobahnbetreibers mit der Autoproduktion“ betreiben.
Helwin Leschs Fazit: Zum einen sucht der Verbraucher die starken vertrauten Medien, zum anderen gibt es aber immer mehr Kanäle und Wettbewerb. Glücklicherweise sei das Beharrungsvermögen der Nutzer sehr beachtlich, sprich: ganz so stark muss man sich eben doch nicht ändern.
Im Anschluss verpackte Philipp von Martius, Geschäftsführer von Studio Gong in Nürnberg einige trockene Zahlen zur Medien- insbesondere Radionutzung in einen kurzweiligen Vortrag: „Das Radio steht saustabil da“: 59 Mio Bürger hören UKW Radio, mit leicht steigender Tendenz. Im Jahr 2007 wurden Im Radio 1,3 Milliarden Euro Werbeumsatz generiert, das entspreche einem Anstieg von 7% gegenüber 2006. Dann kam der Satz, der alle Social Network Betreiber vom Stuhl fallen lassen würde, würden sie ihn vernehmen: „Der Erfinder der Community ist das Radio.“ Herr Martius begründete diese gewagte These mit einem Beispiel, das dem Autor leider entfallen ist, weil er sich erst wieder berappeln und auf den Stuhl setzen musste.
Schliesslich kam das beim Thema Radio unvermeidliche, da Trauerspiel-Thema: Wie steht es um Digitales Radio? Hier wusste Herr Martius lediglich Altbekanntes zu berichten, dass die DAB-Gerätedurchdringung niedrig und die Akzeptanz des UKW-Radios zu stark sei, so dass sogar einer der führenden Digitalradio-Anbieter im innovativen Großbritannien sein DAB-Angebot wieder eingestellt habe, da seit Start konstant hohe Verluste angefallen seien. Ein Schelm, wer bei diesen Ausführungen dächte, Herr Martius würde sich über die schlechte DAB-Performance freuen.
Mittlerweile konnte man den Eindruck gewinnen, dass es auf dieser Tagung hauptsächlich darum ging, den „Wandel in den Medien“ zu leugnen oder zumindest zu verhindern. Glücklicherweise kamen dann in rascher Abfolge Redner, die auf der Höhe der Zeit das Auditorium mit Begriffen der Neuen Medienwelt versorgten, die die meisten allerdings zum ersten mal zu hören schienen.
Jochen Wegner, Chefredakteur von Focus Online, zeigte in einer flotten, humorvollen Art einen Abriss der Applikationen, die derzeit von jungen Menschen bei der Mediennutzung eingesetzt werden. Facebook, flickr, digg (aus irgendeinem mir nicht erfindlichen Grund sagte er digg und nicht YiGG) etc. sind dem geneigten Leser seit Jahren bekannt, aber in diesem Umfeld schienen sie auf grosses Erstaunen zu stossen. Als Jochen Wegner dann noch sagte, dass ein signifikanter Teil der Leser von Focus Online lediglich den Bildschirmschoner als Infoquelle nutze, aber niemals auf focus.de selbst gelange, ging ein Raunen durch die anwesenden Medienvertreter.
„Mein Sohn hat sprechen gelernt mit der Google Bildersuche: Sag mal Elefant – zur Belohnung hat er Elefantenbilder gezeigt bekommen.“ Das war neu – soetwas hatte man noch nicht gehört. Dazu der passende Kommentar von Wegner: „Da gibt es gar nichts zu lachen.” Jochen Wegners Affinität zur medialen Moderne lässt sich auch an seinem privaten Blog ablesen – bereits die URL spricht für sich selbst.
60% der Focus Online Besucher kommen direkt auf focus.de, weitere 30% kommen über Google. „Beim 3. Bier erzählen die Kollegen, dass bereits über 50% der Nutzer über Google kommen.“ Auch diese Tatsache, dass also Nachrichtenkonsum zu einem signifikanten Anteil nicht gebranded stattfindet, sondern Ergebnis der Suche der Internetnutzer ist, schien das Auditorium zu erstaunen.
Im Anschluss hielten Michael Bürker von der Commendo GmbH und Zukunftsforscher Joachim Graf mit in dieser Reihenfolge deutlich zunehmender Direktheit Vorträge, die sich auch nicht mit der Zukunft der Medien, sondern mit der aktuellen Lage befassten, die aber eindrucksvoll belegten, dass die Medienbranche sich womöglich für innovativ hält, aber weite Teile von ihr gerade im Begriff ist, Nutzerbedürfnisse völlig zu verschlafen oder sogar aktiv daran vorbei zu arbeiten. Diese beiden Vorträge werden in einem nächsten Beitrag behandelt. Nur zwei Charts schon jetzt dazu:
Mein persönliches Fazit der Veranstaltung: wie so oft sind die Gespräche am Rande das Salz in der Suppe gewesen. Ohne sie wäre ich mit vielen Fragezeichen nach Hause gegangen – nicht, weil ich die Inhalte unverständlich fand, sondern weil ich erstaunt bin über den Wissensstand einer Branche über sich selbst und das, was der Konsument nicht erst in der Zukunft, sondern bereits heute von ihr verlangt. Und damit komme ich wieder zum Alten Rathaus: kein besserer Veranstaltungsort hätte gewählt werden können ;-).
Tja — und dann musste ich auf dem Marienplatz auch noch das hier sehen — manchmal bliebt einem nichts erspart.…